Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Fortsetzung 6

2 Besonderer Teil
21 Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen

211 Anwendungsbereich

(Art. 1-6)

Kapitel 1 (Art. 1-6) umfasst die Bestimmungen über den persönlichen, räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich. Gleichzeitig umschreibt dieses Kapitel die inhaltliche Reichweite, d.h. es gibt an, welche Fragen im Zusammenhang mit einem Warenkauf vom Übereinkommen beantwortet werden. Die Vorschriften über den zeitlichen Anwendungsbereich finden sich in den Schlussbestimmungen (Art. 100 und 101). Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist in vielfacher Hinsicht eingeschränkt und bedarf deshalb sorgfältiger Prüfung.

211.1 Persönlicher Aufwendungsbereich

Für die Anwendbarkeit des Übereinkommens kommt es nicht auf die unterschiedliche Staatsangehörigkeit der Parteien an, sondern auf ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten (Art. 1 Abs. 3). Voraussetzung ist allerdings, dass den Vertragspartnern die Tatsache ihrer Niederlassung in verschiedenen Staaten bewusst ist -, dabei muss sich der grenzüberschreitende Charakter des Geschäfts aus dem Vertrag selber, aus früheren Geschäftsbeziehungen, aus den Verhandlungen oder aus Auskünften bei Vertragsabschluss ergeben (Art. 1 Abs.2). Diese Aufzählung ist abschliessend. Sie ist sodann alternativ: Es genügt, wenn die Parteien den Auslandbezug nur einem der genannten Umstände entnehmen können. Schwierige Abgrenzungsfragen, weil etwa einerseits der Vertrag und andererseits die früheren Geschäftsbeziehungen zu gegenteiligen Ergebnissen führen, dürften eher selten sein. In solchen Fällen wird man die Erklärungen und Verhaltensweisen der Parteien gemäss Artikel 8 ermitteln und daraus schliessen müssen, ob die Parteien beim Abschluss des Vertrages um die grenzüberschreitende Natur des Warenkaufs gewusst haben. Das Wiener Kaufrecht kann z. B. auch auf einen Kaufvertrag zwischen Schweizer Bürgern Anwendung finden, sofern sie in verschiedenen Staaten niedergelassen sind. Hat eine Partei keine Niederlassung, so tritt an deren Stelle der gewöhnliche Aufenthalt (Art. 10 Abs. 2).

Im Hinblick auf Rechtsordnungen, welche für Kaufleute besondere Vorschriften kennen, wird statuiert, dass die Kaufmannseigenschaft oder die Qualifizierung des Vertrages als handels- oder zivilrechtlich für das Übereinkommen unerheblich ist (Art. 1 Abs. 3).

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211.2 Räumlicher Anwendungsbereich

In engem Zusammenhang mit dem persönlichen steht der räumliche Anwendungsbereich. Wie bereits bemerkt, bedarf es zur Anwendbarkeit des Übereinkommens der Niederlassung der Parteien in verschiedenen Staaten. Das persönliche Element liegt dabei in der Kenntnis des grenzüberschreitenden Umstandes. Dass die Parteien um ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten wissen, genügt grundsätzlich für die Anwendbarkeit des Übereinkommens. Weitere grenzüberschreitende Elemente - etwa die Lieferung der Kaufsache über die Landesgrenze - werden nicht gefordert. Damit wird selbst ein Kaufvertrag vom Übereinkommen erfasst, in welchem der in der Schweiz niedergelassene Verkäufer die Kaufsache dem Käufer im Inland liefert, sofern der Käufer seine Niederlassung in einem anderen Staat hat und der Verkäufer darum weiss.

Zur Umschreibung des räumlichen Anwendungsbereiches dienen dem Übereinkommen zwei Kriterien: Es findet zum einen Anwendung, wenn die Parteien in verschiedenen Staaten niedergelassen sind und wenn es sich dabei um Vertragsstaaten handelt (Art. 1 Abs. 1 Bst. a). Zum anderen genügt es, wenn die Kollisionsregeln des angerufenen Gerichts auf das Recht eines Vertragsstaates verweisen (Art. 1 Abs. 1 Bst. b). Im ersten Fall handelt es sich um eine sogenannte autonome Anwendungsbestimmung. Das bedeutet, dass das Übereinkommen ohne Vorschaltung des Kollisionsrechts des angerufenen Richters angewendet wird, wenn die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Voraussetzung ist allerdings, dass der angerufene Richter seinerseits in einem Vertragsstaat tätig ist. Im zweiten Fall handelt es sich um eine Anwendungsbestimmung mit kollisionsrechtlicher Vorschaltung: Hier muss der Richter aufgrund seines internationalen Privatrechts zum Schluss kommen, dass der Kaufvertrag materiell dem Recht eines Vertragsstaates untersteht; er wird auf diesem Umweg das Übereinkommen anwenden. Unerheblich ist dabei, ob überhaupt eine der Parteien in einem Vertragsstaat niedergelassen ist. Es genügt, dass das Kollisionsrecht des angerufenen Richters zum Recht eines Vertragsstaates führt. Ob diese Verweisung aufgrund der objektiven Anknüpfung (vertragstypische Leistung) vorgenommen wird oder ob die Parteien eine Rechtswahl getroffen haben, ist ebenfalls unerheblich.

Mit Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b wird der Anwendungsbereich des Übereinkommens stark erweitert. Dadurch soll erreicht werden, dass die Vertragsstaaten die Bestimmungen des Übereinkommens auf möglichst alle internationale Warenkäufe anwenden und das Übereinkommen selbst im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten zum Tragen bringen. Freilich kann Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b zur Folge haben, dass von der Anwendung des Übereinkommens selbst dann nicht abgesehen werden darf, wenn ein Nichtvertragsstaat die in seinem Gebiet Niedergelassenen nach seinem Recht deutlich günstiger behandelt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b den Vertragsstaat zur Anwendung des Übereinkommens verpflichtet, wobei der Drittstaat im umgekehrten Verhältnis keineswegs eine Pflicht zur Beachtung des Übereinkommens eingeht. Anlässlich der diplomatischen Konferenz wurde ferner auch darauf hingewiesen, dass das nationale internationale Privatrecht für Vertragsschluss und materielles Kaufrecht unterschiedliche Regelungen vorsehen [759] könnte, so dass das Übereinkommen möglicherweise nur zum Teil anwendbar würde; daraus könnten sich Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben (vgl. Schlechtriem Peter, Einheitliches UN-Kaufrecht, Tübingen 1981, S.10 f). Diese Kritik hat zu der Vorbehaltsmöglichkeit in Artikel 95 geführt. Danach kann jeder Staat anlässlich der Ratifikation oder des Beitritts erklären, dass Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b für ihn nicht verbindlich ist.

Mit der Vorbehaltsmöglichkeit ist die Anwendung des Übereinkommens wesentlich komplizierter geworden. Wegen Artikel 95 kann es in ähnlich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bereits ist in einem Aufsatz nachgewiesen worden, dass das Zusammenspiel von Artikel 1 und Artikel 95 zu 27 unterschiedlichen Konstellationen führen kann (vgl. Vekas Lajos, Zum persönlichen und räumlichen Anwendungsbereich des UN-Einheitskaufrechts, in: Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, 1987, S.342 f). So kann etwa ein Kaufvertrag zwischen Parteien, von denen die eine in einem Vertragsstaat, die andere in einem Nichtvertragsstaat niedergelassen ist, dem Übereinkommen unterstehen oder nicht, je nachdem, ob der angerufene Richter in einem Vertrags- oder in einem Vertragsvorbehaltsstaat tätig ist. Führt sein internationales Privatrecht zum Recht eines Vertragsstaates, so wird er im ersten Fall das Übereinkommen anwenden, im zweiten jedoch wohl nicht. Ist z. B. in einem Warenkauf eine Rechtswahl zugunsten eines Staates vereinbart worden, der das Übereinkommen ratifiziert hat, so wird der Kaufvertrag im einen Fall vom Wiener Kaufrecht beherrscht, im anderen aber nicht, je nachdem, ob der betreffende Staat den Vorbehalt angebracht hat. Kommt der Vorbehalt zum Tragen, so wird die Rechtswahl grundsätzlich nur zum innerstaatlichen Recht führen. Den Parteien ist deshalb zu empfehlen, diese Fragen abzuklären, bevor sie eine Rechtswahl treffen.

Von den 17 Staaten, die das Übereinkommen bislang ratifiziert haben, haben bisher 2 vom Vorbehalt nach Artikel 95 Gebrauch gemacht. Unseres Erachtens sollte die Schweiz Absatz 1 Buchstabe b vorbehaltlos gelten lassen, und zwar aus zwei Überlegungen:

Mit dieser Bestimmung steigt die Anwendungshäufigkeit des Übereinkommens erheblich. Eine möglichst umfassende Geltung des Wiener Kaufrechts vermag die Rechtssicherheit im internationalen Warenverkehr zu erhöhen und ist deshalb zu begrüssen. Es ist ferner nur schwer einzusehen, weshalb internationale Kaufverträge im einen Fall der bestehenden lex specialis (Wiener Übereinkommen) unterstehen sollen, im anderen aber nicht.

Fortsetzung

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