Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Fortsetzung 14

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222 Das Angebot
(Art. 14-17)

222.1 Begriff

Die Regelung über das Angebot beginnt mit einer Umschreibung des Begriffes: Nach Artikel 14 Absatz 1 gilt als Angebot eine Erklärung des Vertragswillens gegenüber einer oder mehrerer bestimmter Personen. Die Erklärung muss inhaltlich genügend bestimmt sein und ferner die wesentlichen Punkte des Vertrages sowie den Verpflichtungswillen zum Ausdruck bringen. Welches die wesentlichen Vertragspunkte sind, wird im Gegensatz zum OR ausdrücklich festgehalten. Nach Artikel 14 gilt ein Vorschlag als bestimmt genug, wenn er die Ware bezeichnet und ausdrücklich oder stillschweigend die Menge und den Preis festsetzt oder deren Festsetzung ermöglicht.

In der Regel richtet sich die Offerte an eine oder mehrere bestimmte Person bzw. Personen. Nach schweizerischem Recht kann eine Offerte unter Umständen auch schon vorliegen, wenn die Person des Vertragspartners noch nicht feststeht, also das Angebot ad ineertam personam erfolgt.

Das Wiener Übereinkommen lässt eine Publikumsofferte ebenfalls zu, verlangt aber, dass der Antragsteller seinen Bindungswillen deutlich zum Ausdruck bringt (Art. 14 Abs. 2). Die Anforderungen an ein Publikumsangebot sind also strenger als im schweizerischem Recht. Das gilt auch für Schaufensterauslagen mit Preisangabe. Artikel 7 Absatz 3 OR, bestimmt, dass eine Schaufensterauslage mit Angabe des Preises vermutungsweise ein Angebot darstellt. Liegen Umstände vor, die den Bindungswillen ausschliessen - beispielsweise der ausdrückliche Hinweis, dass der ausgestellte Gegenstand reserviert ist - so fällt die Vermutung dahin.

Anders hingegen beim Wiener Übereinkommen: Die Schaufensterauslage unterliegt als Publikumsofferte den strengen Voraussetzungen von Artikel 14 Absatz 2. Vermutungsweise handelt es sich also bloss um eine Einladung zur Offertenstellung, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die den Bindungswillen klar erkennen lassen.

Die Bestimmung bzw. Bestimmbarkeit der Warenmenge gehört zu den essentialia negotii. Neben der ausdrücklichen ist auch die stillschweigende Bestimmung der Menge, aber auch die stillschweigende Bestimmbarkeit der Menge ausreichend. Diese betont weite Formulierung lässt es zu, dass ein Angebot sogar dann genügend bestimmt sein kann, wenn beispielsweise beim Gattungskauf die Menge erst bei Vertragserfüllung zu bestimmen ist. Man wird sich allerdings bei solchen und ähnlichen Angeboten fragen müssen, ob ein genügender Verpflichtungswille noch vorliegt, wenn die Bestimmbarkeit der Warenmenge von allzu grössen Zufälligkeiten abhängt. Durch das Heranziehen der Auslegungshilfe von Artikel 8 dürften offene Fragen über den Bindungswillen unschwer geklärt werden können.

Während Artikel 14 vorsieht, dass ein gültiges Angebot den Preis bestimmen oder dessen Festsetzung ermöglichen muss, behandelt Artikel 55 den Fall eines Vertrages, der abgeschlossen wurde, ohne dass der Preis bestimmt ist oder dessen Festsetzung möglich wäre; angesprochen sind Verträge, in denen die Par- [772] teien den Preis nicht einmal stillschweigend bestimmbar gestaltet haben. In solchen Fällen wird vermutet, die Parteien hätten sich stillschweigend auf den für die Ware üblichen Preis bezogen (Marktpreis). Der Widerspruch zwischen den Artikeln 14 und 55 ist ein Spiegelbild der unterschiedlichen Rechtsordnungen. In verschiedenen Staaten kann ein Vertrag auch ohne Preisbestimmung gültig zustande kommen, während nach anderen Auffassungen ein solcher Vertrag nichtig ist.

Nach schweizerischem Recht gehört der Preis ebenfalls zu den essentialia negotii; ein Vertragsschluss ohne übereinstimmenden Willen bezüglich des Preises ist nicht denkbar. Nach Artikel 184 Absatz 3 OR genügt jedoch für das Zustandekommen des Vertrages, dass der Preis nach den Umständen bestimmbar ist. Es reicht also aus, dass der Preis über den Markt oder auch anhand anderer konkreter Anhaltspunkte ermittelt werden kann. Bei fester Bestellung ohne Preisangabe durch den Käufer wird sogar ausdrücklich vermutet, es sei der mittlere Marktpreis zur Zeit und am Ort der Erfüllung vereinbart worden (vgl. Art. 212 Abs. 1 OR) Wesentlich ist, dass der Preis nicht vom Willen der einen oder anderen Partei allein abhängt. Die schweizerische Praxis dürfte bei der Auslegung von Artikel 55 keine grossen Schwierigkeiten haben. Das Zusammenspiel zwischen den Artikeln 14 und 55 bleibt indessen schwierig. Artikel 55 generell als gesetzliche Vermutung zu betrachten, wie dies für Artikel 212 Absatz 1 OR zutrifft, scheitert an der Formulierung des Artikels 14. Man wird diesem Widerspruch begegnen können mit dem Argument, dass Artikel 55 nur zum Tragen kommen kann, wenn Artikel 14 nicht zur Anwendung gelangt (vgl. Herber Rolf, Wiener Gbereinkommen über internationale Warenkaufverträge vom 11. April 1980, Köln 1983, S. 15; Honnold John, Uniform Law for International Sales, Deventer 1982, ad 14 Na 137) Dies trifft dann zu, wenn die Parteien die Anwendbarkeit von Artikel 14 ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen haben. Weiter wird die Ausklammerung von Artikei 14 wohl bejaht werden können, wenn die Handelsbräuche oder die zwischen den Parteien ausgebildeten Gepflogenheiten einen Vertragsschluss ohne Preisbestimmung vorsehen. Eine solche Gepflogenheit ist beispielsweise bei Uranlieferungen anzunehmen.

Im Zusammenhang mit der Bestimmung oder der Bestimmbarkeit des Preises ergibt sich eine weitere Schwierigkeit. Man wird sich in solchen Fällen jeweils fragen müssen, ob der Vertrag überhaupt gültig zustande gekommen ist. Immerhin wird die Gültigkeit des Vertrages nach Artikel 4 vom Geltungsbereich des Übereinkommens bekanntlich ausgenommen, so dass hierfür die von den Kollisionsnormen des angerufenen Richters bestimmte Rechtsordnung gilt. Sieht die so bezeichnete Rechtsordnung vor, dass ein Vertrag ohne Preisbestimmung nichtig ist, so wird man solche Verträge nach Artikel 55 des Übereinkommens als nicht "gültig geschlossen" betrachten müssen.

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