Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Fortsetzung 33

235.5 Wirkungen der Aufhebung

Im fünften Abschnitt des fünften Kapitels betr. die Wirkungen der Vertragsaufhebung regelt das Übereinkommen auch die Ersatzlieferung und die Minderung. Richtigerweise wäre daher von der Rückabwicklung des Vertrages zu sprechen. Artikel 81 enthält den Grundsatz, Artikel 82 behandelt die Fälle, in denen das Vertragsaufhebungsrecht dahinfällt sowie die Ausnahmen davon, Artikel 83 befasst sich mit den Folgen des Rechtsverlustes und Artikel 84 verpflichtet die Parteien zur Herausgabe von Nutzungen.

235.51 Grundsatz

Nach Artikel 81 Absatz 1 werden durch die Aufhebung des Vertrages beide Parteien von ihren Vertragspflichten befreit, mit Ausnahme von Schadenersatzverpflichtungen. Vertragsbestimmungen über die Folgen der Vertragsaufhebung oder die Beilegung von Streitigkeiten (etwa Schiedsklauseln) werden durch die Aufhebung nicht berührt. Mit dieser Formulierung stellt das Wiener Übereinkommen klar, dass die Vertragsaufhebung nur ex nunc wirkt. Damit ergibt sich auch eine Übereinstimmung zum schweizerischen Recht.

Nach Absatz 2 hat jede Partei das Empfangene zurückzugeben, und zwar grundsätzlich Zug um Zug.

235.52 Verlust des Vertragsaufhebungsrechts, Ausnahmen und Folgen

Die Aufhebung des Vertrages setzt voraus, dass die empfangene Ware "im wesentlichen" in dem Zustande zurückgegeben werden kann, in dem sie der Käufer erhalten hat (Art. 82 Abs. 1). Bloss unwesentliche Abweichungen von der Beschaffenheit der Ware dürfen nicht in Betracht fallen. Ist indessen die Ware nicht mehr im wesentlich selben Zustand vorhanden, so hat der Käufer weder ein Aufhebungs- noch ein Nachbesserungsrecht; ihm stehen lediglich die anderen Rechte wie Schadenersatz und Minderung zu (vgl. Art. 83). Artikel 82 Absatz 2 erwähnt die drei Ausnahmen, bei denen dem Käufer trotz fehlender (S. 831) Rückgabemöglichkeit alle Rechtsbehelfe einschliesslich Wandelung oder Minderung zustehen, nämlich dann, wenn die Beeinträchtigung der Ware nicht vom Käufer zu verantworten ist (Bst. a), wenn die Ware durch die ordnungsgemässe Untersuchung verschlechtert worden oder untergegangen ist (Bst. b) und wenn der Käufer die Ware gutgläubig verkauft, verbraucht oder verändert hat (Bst. c).

Buchstabe a umfasst sowohl die Fälle, in denen die Ware wegen des Mangels zugrunde geht, als auch jene, in denen die Verschlechterung oder der Untergang der Ware auf einen Zufall zurückzuführen ist, aber auch die Fälle, bei denen sich der Käufer nach Artikel 79 exkulpieren konnte. Dies entspricht der Lösung unseres OR (vgl. Art.207; Giger H., a.a.O., S.542 ff) und ist übrigens auch im Haager Einheitlichen Kaufrecht zu finden (vgl. Art. 79 Abs. 2 Bst. b. EKG). Nach dem Wortlaut von Buchstabe a wird der Käufer die Beweislast für sein mangelndes Verschulden bei der Beeinträchtigung der Ware tragen müssen. Buchstabe b bedarf keiner besonderen Erläuterung; es bleibt lediglich darauf hinzuweisen, dass die Modalitäten für die Untersuchung der Ware in erster Linie dem Vertrag, allenfalls den Handelsbräuchen zu entnehmen sind. Buchstabe c stellt den Käufer im Vergleich zum schweizerischen Recht besser, denn nach Artikel 207 Absatz 3 OR hat er bei Weiterveräusserung der Kaufsache nur noch die Möglichkeit, Ersatz des Minderwertes zu verlangen; kann er allerdings die verkaufte Ware zurückverlangen, so lässt das OR auch den Wandelungsanspruch wieder aufleben, denn es knüpft das Vertragsaufhebungsverbot lediglich an die Unmöglichkeit der Rückgabe der Ware. Demgegenüber kann der Käufer nach dem Wiener Übereinkommen die Aufhebung des Vertrages auch dann verlangen, wenn die Ware im Rahmen des ordentlichen Geschäftsverkehrs weiterverkauft worden ist und er den Mangel in jenem Zeitpunkt nicht kannte und auch nicht kennen musste. Die Folgen dieses Vertragsaufhebungsrechts werden bei den Modalitäten der Rückabwicklung in Erscheinung treten. Macht der Käufer Schadenersatz geltend, so wird der Verkäufer, der im Gegenzug die Herausgabe der Nutzungen (Art. 84) verlangt, letztlich nachweisen müssen, ob und in welcher Höhe dem Käufer tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Auf diese Weise kann der Käufer bei Kaufverträgen über Waren mit stark schwankenden Preisen das Risiko auf den Verkäufer überwälzen.

Wie bereits erwähnt, bleiben dem Käufer, der das Aufhebungsrecht nach Artikel 82 Absatz 1 verliert, in Anwendung von Artikel 83 alle übrigen Rechte unbenommen.

235.53 Herausgabe der Nutzungen

Artikel 84 verpflichtet beide Parteien, die Vorteile zurückzuerstatten, die aus den bisher erbrachten Vertragsleistungen resultieren. Absatz 1 schreibt dem Verkäufer vor, ab Erhalt der Zahlungen Zinsen zu leisten. Nach Absatz 2 muss der Käufer seinerseits alle Vorteile, die er aus der Ware gezogen hat, zurückerstatten, gleichgültig, ob er die Ware tatsächlich zurückgeben muss (Bst. a) oder ob deren Rückgabe unmöglich ist (Bst. b) Ob der Käufer dem Verkäufer auch denjenigen Vorteil zuwenden muss, den er zu nutzen unterlassen hat, geht aus dem Wortlaut von Artikel 84 Absatz 2 nicht hervor. Die Frage ist daher in Anwendung von Artikel 7 Absatz 2 zu beantworten, denn es geht um einen Punkt, der (S. 832) nter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt. Mit Rücksicht auf Sinn und Zweck von Artikel 84 ist die Frage unseres Erachtens zu bejahen. Mit dem Gegenwert der Nutzungen spricht Artikel 84 in erster Linie die natürlichen Früchte an, die als solche - und nicht etwa ihr Gegenwert - herausgegeben werden müssen. In dieser absoluten Form gilt dies allerdings nur für Staaten, deren Rechtsordnung eine Erfüllung in Natur kennt (vgl. Art. 28). Sind die natürlichen Früchte verbraucht oder weiterveräussert, so tritt an deren Stelle ein Ersatzanspruch. Daraus lässt sich ableiten, dass auch für die nicht gezogenen Früchte ein Ersatzanspruch geschuldet wird; er berechnet sich nach den Bestimmungen über den Schadenersatz (a.A. Schlechtriem P., a.a.O., S. 103).

235.6 Erhaltung der Ware

Der sechste Abschnitt des fünften Kapitels handelt von den Nebenpflichten im Zusammenhang mit der Erhaltung der Ware. Darunter fallen die eigentlichen Aufbewahrungspflichten und das Recht zum Selbsthilfeverkauf. Die Artikel 85-88 entsprechen inhaltlich den Artikeln 91-95 des Haager Einheitlichen Kaufrechts. In vielen Punkten übereinstimmende Vorschriften finden sich auch im schweizerischen Recht; auf die wenigen Unterschiede zwischen OR und Wiener Kaufrecht wird nachfolgend eingegangen.

Artikel 85 behandelt die Aufbewahrungspflicht des Verkäufers, wenn der Käufer die Ware nicht annimmt oder den Kaufpreis nicht bezahlt, und Artikel 86 spricht als Gegenstück von den Aufbewahrungspflichten des Käufers, sei es, dass er die Ware bereits entgegengenommen hat (Abs. 1), oder dass er sie erst noch in Besitz nehmen wird (Abs. 2). Artikel 87 ermächtigt die zur Erhaltung der Ware verpflichtete Partei, unter Umständen die Ware bei einem Dritten zu lagern; Artikel 88 nennt die Voraussetzungen für einen Selbsthilfeverkauf.

235.61 Aufbewahrungspflichten

Hat der Käufer die Ware nicht vertragsgemäss angenommen oder hat er bei Zug um Zug-Leistung den Kaufpreis nicht bezahlt, so treffen den Verkäufer die in Artikel 85 umschriebenen Pflichten. Danach muss er "die den Umständen angemessenen Massnahmen" zur Erhaltung der Ware treffen, wenn sich die Ware noch im Besitz des Verkäufers befindet oder er sonst die Möglichkeit hat, über sie zu verfügen. Artikel 85 räumt dem Verkäufer sodann ein Retentionsrecht an der Ware ein, solange ihm der Käufer die Erhaltungskosten für die Ware nicht ersetzt. Welche Massnahmen als angemessen erscheinen, hängt von den Umständen, allenfalls von Handelsbräuchen oder Gepflogenheiten ab. Als Massstab werden die Erhaltungsmassnahmen dienen, die eine vernünftige Person in vergleichbarer Lage treffen würde. Wie lange die Aufbewahrung dauern soll, kann der Verkäufer weitgehend selber bestimmen (vgl. Art. 88).

Das Zurückbehaltungsrecht an der Ware darf der Verkäufer solange ausüben, bis der Käufer die entstandenen Kosten für die Erhaltungsmassnahmen erstattet. Hierfür gilt grundsätzlich Zug um Zug-Leistung. (S. 833)

Artikel 86 Absatz 1 handelt von den Pflichten des Käufers im Zusammenhang mit der bereits erhaltenen Ware. Beabsichtigt er, die Ware zurückzuweisen, weil er die Aufhebung des Vertrages erklärt oder Nachbesserung verlangt, so hat er "die den Umständen angemessenen Massnahmen" zur Erhaltung der Ware vorzukehren. Die Erhaltungspflicht setzt voraus, dass der Käufer die Ware tatsächlich in seinem Besitz hat und dass er beabsichtigt, sie zurückzugeben. Will der Käufer nur Minderung und Schadenersatz anstreben, so findet Artikel 86 keine Anwendung. Für Art und Umfang der Erhaltungsmassnahmen kann auf die Ausführungen zu Artikel 85 verwiesen werden. Artikel 86 Absatz 2 beschlägt den Sonderfall, in dem die Ware dem Käufer zugesandt, ihm aber noch nicht übergeben wurde. Hier reicht es, wenn die Ware dem Käufer am Bestimmungsort zur Verfügung gestellt worden ist und er sie zurückweisen will. Die Verpflichtung zur Inbesitznahme und zur Erhaltung trifft den Käufer indessen nur, wenn er die Ware ohne Zahlung des Kaufpreises übernehmen kann und dies ohne unzumutbare Unannehmlichkeiten oder unverhältnismässige Kosten möglich ist. Die Pflicht zur Entgegennahme der Ware und zu den geeigneten Vorkehren für ihre Erhaltung entfällt (Abs. 2 zweiter Satz), wenn der Verkäufer am Bestimmungsort der Ware anwesend ist. Dasselbe gilt, wenn sich anstelle des Verkäufers eine zur Entgegennahme befugte Person am Bestimmungsort dieser Ware aufhält. Dem Käufer sind die Erwahrungspflichten ohnehin nur zuzumuten, wenn er oder einer seiner Leute beim Versendungskauf näher bei der Ware ist als der Verkäufer und deshalb besser als dieser die nötigen Vorkehren treffen kann. Nach Inbesitznahme der Ware durch den Käufer gelten analog die Vorschriften von Absatz 1: Er hat somit die Möglichkeit, zur Sicherstellung seiner Aufwendungen die Ware zurückzubehalten.

235.62 Lagerung bei Dritten

Artikel 87 gilt gleichennassen für Käufer und Verkäufer. Die zur Erhaltung verpflichtete Partei kann die Ware auf Kosten der anderen in den Lagerräumen eines Dritten einlagern, "sofern daraus keine unverhältnismässigen Kosten entstehen"; sie ist aber hierzu nicht verpflichtet. Einzige Voraussetzung für die Lagerung ist, dass dadurch keine unverhältnismässigen Kosten entstehen. Ein bestimmter Zeitablauf oder die Anzeige der Lagerung bei Dritten an die andere Partei ist nicht vorgesehen.

Ob die entstandenen Lagerungskosten gänzlich auf die andere Partei überwälzt werden können, oder ob dies nur im Rahmen des Vernünftigen geschieht - etwa dann, wenn die Lagerkosten aus unvorhergesehenen Gründen die durchschnittlichen Aufwendungen übersteigen -, sagt das Übereinkommen nicht. Ebenso schweigt es sich über die Rechtsverhältnisse zwischen der erwahrungspflichtigen Partei und dem Lagerhalter aus. Letztere fallen auch nicht unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens, sondern unterstehen dem jeweils massgebenden nationalen Recht. Für das Ausmass der überwälzbaren Lagerungskosten müssen die entsprechenden Grundsätze hingegen dem Übereinkommen entnommen werden. Demnach dürften auch erheblich über dem Ordnungsgemässen liegende Auslagen überwälzbar sein, sofern die Umstände für die Kostenüberschreitung unvorhersehbar waren. (S. 834)

Ob der einlagernden Partei für die Sicherung ihres Rückerstattungsanspruches ein Zurückbehaltungsrecht an der Ware zusteht, geht aus dem Wortlaut nicht hervor, dürfte unseres Erachtens aber zu bejahen sein.

235.63 Selbsthilfeverkauf

Das Wiener Übereinkommen kennt den Selbsthilfeverkauf unter ähnlichen Voraussetzungen wie das schweizerische Recht (vgl. Art. 204 Abs. 3 OR) Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass für den Notverkauf nach OR zwingend eine amtliche Mitwirkung vorgeschrieben ist.

Nach Artikel 88 des Übereinkommens steht der Partei, die Erhaltungsmassnahmen getroffen hat, das Recht zum Selbsthilfeverkauf zu. Absatz 2 regelt deren Voraussetzungen bei verderblicher Ware, während Absatz 1 die übrigen Fälle erfasst. Danach setzt der Selbsthilfeverkauf voraus, dass die Gegenpartei die An- oder Rücknahme der Sache oder die Zahlung des Kaufpreises oder der Erhaltungskosten ungebührlich hinauszögert. Unter "ungebührlich" hat man jede über das normale Mass hinausgehende Verzögerung zu verstehen. Weitere Bedingung für den Selbsthilfeverkauf ist die rechtzeitige Anzeige der Verkaufsabsicht. Diese Anzeige ist nach dem unter Artikel 27 geltenden Prinzip nur absendebedürftig. Fehler oder Verspätungen in der Übermittlung gehen somit zu Lasten der säumigen Partei.

Welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die erwahrungspflichtige Partei die Anzeige unterlässt oder sie verspätet abschickt, geht aus dem Übereinkommen nicht hervor. Versteht man die Anzeige der Verkaufsabsicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Selbsthilfeverkauf, so wäre ein solcher bei fehlender oder verspäteter Anzeige im Verhältnis zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien unwirksam. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass der neue Käufer - zumindest aus der Sicht des schweizerischen Rechts - die Ware zu Recht erworben hat, vorausgesetzt, dass er gutgläubig war. Der verletzten Partei bliebe einzig ein Schadenersatzanspruch. Zum gleichen Ergebnis führt auch die Auffassung, wonach die fehlende Anzeige den Selbsthilfeverkauf zwar nicht unwirksam werden lässt, der nicht benachrichtigten Partei aber einen Anspruch auf Schadenersatz aus diesem Fehlverhalten verschafft. Die Berechnung dieses Ersatzanspruches richtet sich nach der konkreten Berechnungsmethode (Art. 75).

Im Übereinkommen nicht geregelt ist ferner die Frage, ob sich die Gegenpartei nach Erhalt der Anzeige gegen den beabsichtigten Selbsthilfeverkauf zur Wehr setzen kann und gegebenenfalls wie. Sicher dürfte ein sofortiges Handeln der säumigen Partei die Voraussetzungen für einen Selbsthilfeverkauf dahinfallen lassen. Unklar ist hingegen, ob die erwahrungspflichtige Partei gehalten ist, einen (wohl zugangsbedürftigen) Einspruch zu berücksichtigen. Da es sich hier um Fragen handelt, die unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, wird die Lösung durch Lückenfüllung (Art. 7) zu suchen sein.

Artikel 88 Absatz 2 erleichtert die Voraussetzungen des Selbsthilfeverkaufs für Ware, die "einer raschen Verschlechterung ausgesetzt" ist oder deren Erhaltung unverhältnismässige Kosten verursachen würde. In solchen Fällen ist eine Anzeige des Selbsthilfeverkaufes nur nötig, "soweit es die Umstände zulassen". (S. 835)

Unter Absatz 2 fallen Verträge über Ware, die schneller physischer Verderbnis ausgesetzt ist und bei der äussere Umstände eine angemessene Verfügung über die Ware verunmöglichen. Im Unterschied zum schweizerischen Recht können schliesslich auch Waren weiterveräussert werden, bei denen ein Preiszerfall befürchtet werden muss.

Während der erwahrungspflichtigen Partei nach Absatz 1 das Recht, aber nicht die Pflicht zum Selbsthilfeverkauf zusteht, ist sie nach Absatz 2 verpflichtet, "sich in angemessener Weise um den Verkauf zu bemühen"; durch Verletzung dieser Pflicht wird sie der Gegenpartei zu Schadenersatz verpflichtet.

Die zum Selbsthilfeverkauf berechtigte bzw. verpflichtete Partei kann nach Artikel 88 Absatz 3 ihre Aufwendungen für die Aufbewahrung der Ware und deren Verkauf vom Erlös des Selbsthilfeverkaufs abziehen.

24 Schlussbestimmungen

In den Schlussklauseln (Art. 89-101) finden sich neben allgemeinen Bestimmungen auch Regeln über die zeitlichen Anwendungsvoraussetzungen (Ratifikation, Inkrafttreten und Kündigung), die möglichen Vorbehalte sowie das Verhältnis des Wiener Übereinkommens zu anderen Staatsverträgen, insbesondere zum Haager Einheitlichen Kaufrecht.

241 Allgemeine Bestimmungen
(Art. 89, 91, 93 und 97)


Als Depositar des Übereinkommens amtet der Generalsekretär der Vereinten Nationen (Art. 89); er nimmt sämtliche Ratifikations-, Annahme- oder Beitrittsurkunden sowie andere Erklärungen entgegen und verwahrt sie. Erklärungen bedürfen der Schriftform und müssen dem Depositar notifiziert werden (Art. 97). Das Wiener Übereinkommen lag bis zum 30. September 1981 am Sitz der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung auf. 21 Staaten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Staaten, die es bis zu jenem Zeitpunkt nicht unterzeichnet haben (z. B. die Schweiz), können dem Übereinkommen beitreten (Art.91). Bislang (1.Aug. 1988) ist das Wiener Übereinkommen von 17 Staaten ratifiziert bzw. genehmigt oder angenommen worden.

Zu den allgemeinen Bestimmungen zählen auch die sogenannten "clauses federees"; sie räumen den bundesstaatlich organisierten Ländern mit unterschiedlichen Kaufrechts- oder Vertragsabschlussbestimmungen die Möglichkeit ein, das Übereinkommen (vorerst) nur für einzelne Teilstaaten in Kraft zu setzen (Art. 93). Gegenüber Vertragsstaaten, die keine entsprechende Erklärung abgegeben haben, findet das Übereinkommen auf deren gesamtem Hoheitsgebiet Anwendung. (S. 836)

242 Zeitlicher Anwendungsbereich
(Art. 99-101)


Nach Artikel 99 tritt das Übereinkommen ein Jahr nach Hinterlegung der zehnten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft (Abs. 1); diese Voraussetzung hat sich am I.Januar 1988 erfüllt. Für jeden weiteren Vertragsstaat wird das Übereinkommen ein Jahr nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Kraft treten (Abs. 2). Staaten, die Mitglied eines der Haager Einheitlichen Kaufgesetze von 1964 sind, geben gleichzeitig mit der Ratifikationsurkunde "ine Kündigung für das oder die Haager Einheitlichen Kaufgesetze ab; für sie tritt das Wiener Übereinkommen erst mit dem Wirksamwerden jener Kündigung in Kraft (Abs. 3-6).

Artikel 100 präzisiert, dass sich das Übereinkommen nur auf solche Kaufverträge bezieht, die am oder nach dem Tage des Inkrafttretens abgeschlossen werden; gemeint ist das Inkrafttreten für jene Staaten, in denen die Vertragsparteien ihre Niederlassung haben (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. a) bzw. für jene Staaten, auf die das internationale Privatrecht des angerufenen Richters verweist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. b).

Artikel 101 enthält die Formalitäten für die Kündigung: sie entfaltet ihre Wirkung frühestens nach Ablauf eines Jahres seit ihrer Notifizierung.

243 Vorbehalte
(Art. 92, 94-96 und 98)


Gemäss Artikel 98 können nur die vier im Übereinkommen ausdrücklich genannten Vorbehalte angebracht werden.

Es handelt sich einmal um den Vorbehalt der gleichartigen Rechtsvorschriften: Vertragsstaaten mit gleichen oder inhaltlich sehr nahestehenden Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Warenkaufs können untereinander anstelle des Übereinkommens ihre einheitlichen oder ähnlich lautenden Bestimmungen für anwendbar erklären (Art. 94). Im heutigen Zeitpunkt haben Schweden, Finnland und Norwegen von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht. Zu erwarten ist, dass sich ihnen Dänemark anschliessen wird. Für die Schweiz stellt sich die Frage nach einem allfälligen Vorbehalt nicht, da sie mit keinem anderen Staat gleiche oder inhaltlich sehr nahestehende Kaufrechtsbestimmungen vereinbart hat.

Ferner kann jeder Vertragsstaat bei der Ratifikation des Übereinkommens erklären, dass er sich durch Artikel 1 Absatz 1 Bst. b nicht gebunden fühlt, dass er mit ändern Worten frei regeln kann, ob und unter welchen Umständen er das Übereinkommen für massgebend hält, wenn die Kollisionsnormen des angerufenen Richters auf seine Rechtsordnung hinweisen (Art. 95). Bislang haben China und die USA diesen Vorbehalt erklärt. Wie bereits ausgeführt, bestehen für die Schweiz keine Gründe, den Vorbehalt anzubringen (vgl. Ziff. 211.2). Die Argumente, die gegen die Regelung von Artikel 1 Absatz 1 Bst. b angeführt werden, scheinen wenig überzeugend. Insbesondere sind schwierige Abgrenzungsprobleme im Zusammenhang mit unterschiedlichen Anknüpfungsnormen für Vertragsabschluss und materielles Kaufrecht nur in Ausnahmefällen zu er- (S. 837) warten. Ebenso dürfte es selten geschehen, dass ein Staat die in seinem Gebiet Niedergelassenen gegenüber Ausländern im Rahmen des materiellen Kaufrechts deutlich bevorzugt und dass wegen der Regelung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b für die Vertragsstaaten des Übereinkommens eine völkerrechtliche Verpflichtung besteht, es auch gegenüber Niedergelassenen solcher Staaten anzuwenden. Der etwa erhobene Einwand, die kollisionsrechtliche Vorschaltung untersage den Vertragsstaaten, internationale Kaufverträge unterschiedlich zu behandeln, wenn das internationale Privatrecht des angerufenen Richters auf das Recht eines Vertragsstaates verweist (vgl. etwa Herber Rolf, Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereich des Einheitlichen Kaufrechts, in: Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, Referate und Diskussionen der Fachtagung Einheitliches Kaufrecht am 16./17. 2. 1987, herausgegeben von Schlechtriem P., S. 100), scheint nicht durchschlagend: So ist im Gegenteil nur schwer einzusehen, warum das Übereinkommen als lex specialis nicht auf alle internationalen Warenkäufe angewendet werden soll. Wenig sinnvoll und der Rechtssicherheit abträglich wäre es, den Entscheid über die Anwendbarkeit des Übereinkommens gegenüber Nichtvertragsstaaten dem angerufenen Richter zu überlassen. Demgegenüber steigt mit Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b die Anwendungshäufigkeit des Übereinkommens und trägt auf diese Weise zur angestrebten Universalität des Kaufrechts bei. Zudem dürfte das Übereinkommen den Parteien eines internationalen Warenkaufs näher liegen als ein fremdes Sachrecht. Mangels sachlich überzeugender Argumente für Artikel 95 und im Interesse einer einheitlichen und einfachen Regelung ist auf den Vorbehalt von Artikel 95 zu verzichten.

Als weiteren Vorbehalt kann ein Vertragsstaat nur den Teil über den Abschluss von Kaufverträgen (Teil II) oder nur jenen über das materielle Kaufrecht (Teil III) ratifizieren (Art. 92). Bislang haben Finnland, Norwegen und Schweden davon Gebrauch gemacht und Teil II ausgeschlossen. Auch für diesen Vorbehalt ist zu erwarten, dass Dänemark gleichziehen wird.

Als letzter Vorbehalt nennt Artikel 96 die Schriftform für den Abschluss oder den Nachweis eines Kaufvertrages: Kennt ein Vertragsstaat derartige interne Rechtsvorschriften, so kann er die Schriftform auch für internationale Verträge nach dem vorliegenden Übereinkommen für massgebend erklären, sofern eine der Vertragsparteien ihre Niederlassung in einem Vorbehaltsstaat hat. Wegen fehlender Formvorschriften für internationale Warenkäufe stellt sich für die Schweiz die Frage nach diesem Vorbehalt nicht.

Grundsätzlich müssen die Vorbehalte im Zeitpunkt der Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder des Beitritts angebracht werden. Hinsichtlich der Artikel 94 (Vorbehalt der gleichen oder ähnlichen Rechtsvorschriften) und 96 (Vorbehalt der Schriftform) ist hingegen auch eine nachträgliche Erklärung möglich.

244 Regelung von Konventionskonflikten
(Art. 90)

Nach Artikel 90 tritt das Wiener Übereinkommen gegenüber bereits bestehenden oder noch zu schliessenden Übereinkommen zurück. Dies entspricht der (S. 838) ängigen Klausel zur Vermeidung von Konventionskonflikten. Gegenüber den Haager Einheitlichen Kaufgesetzen ist eine gleichzeitige Geltung beider Übereinkommen und damit ein Konventionskonflikt ausgeschlossen, da das Inkrafttreten des Wiener Übereinkommens ausdrücklich an die Kündigung des Einheitlichen Gesetzes über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG) bzw. des Einheitlichen Gesetzes über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG) gekoppelt ist (vgl. oben Ziff. 242).

3 Schlussfolgerungen

Mit Rücksicht auf die grosse Bedeutung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs besteht allseits ein lebhaftes Interesse an einer klaren gesetzlichen Regelung. Häufig ist aber die Frage, welcher Rechtsordnung ein Kaufvertrag mit innationalen Elementen unterliegt, nicht einfach zu beantworten. Schweizerischerseits ist hierfür in erster Linie das Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht (SR 0.221.211.4) zu beachten, und künftig, soweit dieses keine Regelung enthält, das Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (AS 1988 1776; SR 291) Nach dem Haager IPR-Übereinkommen steht den Parteien eine Rechtswahlmöglichkeit zu. Häufig werden diese aber dem anwendbaren Recht nur wenig Aufmerksamkeit zuwenden, weil sie einerseits von einem reibungslosen Geschäftsablauf ausgehen und anderseits die Vertragsverhandlungen mit einem vermeintlich sekundären Problem nicht unnötig belasten wollen.

Das Wiener Übereinkommen bietet in verschiedener Hinsicht eine gute Lösung. Mit seiner autonomen Anwendungsbestimmung werden in vielen Fällen das Kollisionsrecht und die damit verbundenen Probleme ausgeschaltet. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Übereinkommens ist lediglich, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben und dass es sich um Vertragsstaaten handelt (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. a). Daneben bleiben jene Fälle, in denen die Anwendbarkeit des Wiener Übereinkommens über die kollisionsrechtliche Vorschaltung erfolgt, d.h. in denen das internationale Privatrecht des angerufenen Richters zum Recht eines Vertragsstaates führt (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. b) Das Wiener Übereinkommen hat den Vorzug, mit seinem materiellen Kaufrecht Lösungen anzubieten, die den Bedürfnissen des internationalen Warenverkehrs entsprechen. So ist beispielsweise das Nachbesserungsrecht des Käufers, das den Verkäufer in internationalen Verhältnissen stark belastet, gegenüber unserem OR eingeschränkt. Ferner mag in Fällen, in denen eine Rechtswahl ins Auge gefasst wird, das Wiener Übereinkommen als "neutrales Recht" von beiden Parteien besser akzeptiert werden als das heimatliche Recht der einen oder anderen Partei.

Die hier erwähnten Gründe haben denn auch dazu beigetragen, dass das Übereinkommen am 1. Januar 1988 in Kraft getreten ist. Nachdem bisher 17 Staaten das Übereinkommen ratifiziert oder angenommen haben (Argentinien, Ägypten, Australien, China, Finnland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Lesotho, Mexiko, Norwegen, Österreich, Sambia, Schweden, Syrien, Ungarn und USA) und nach- (S. 839) dem sich unter den Vertragsstaaten auch wichtige Handelspartner der Schweiz befinden, wäre es für die Schweiz von Vorteil, wenn sie die internationalen Kaufverträge ebenfalls dem Wiener Übereinkommen unterstellen würde.

4 Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Beitritt zu diesem Übereinkommen wird für die Schweiz weder finanzielle noch personelle Auswirkungen haben.

Da das Übereinkommen materielle Bestimmungen über internationale Warenkaufverträge enthält, bringt es für Bundes- und Kantonsbehörden keine neuen Aufgaben mit sich. Einzig die richterlichen Instanzen werden anstelle des nach dem internationalen Privatrecht bezeichneten nationalen Rechts in vielen Fällen das Wiener Übereinkommen anwenden müssen. Insofern könnte der Beitritt zu diesem Übereinkommen für die Gerichte mit einer internen Gesetzesrevision verglichen werden. Dem Bund und den Kantonen entstehen aber dadurch weder neue Ausgaben noch müssen sie zusätzliches Personal einstellen.

5 Verhältnis zum europäischen Recht

In den Europäischen Gemeinschaften ist der Beitritt zum Wiener Übereinkommen diskutiert und ist es allgemein als wünschenswert erachtet worden, dass das Übereinkommen vor allem von EG-Staaten ratifiziert wird. Sicher ist, dass weder in der EG noch im Europarat irgendwelche Anzeichen für die Schaffung eines europäischen Kaufrechts bestehen. Die schlechten Erfahrungen mit den lediglich auf Westeuropa beschränkt gebliebenen Haager Einheitlichen Kaufgesetzen haben im Gegenteil zu den Bemühungen einer Vereinheitlichung auf UNO-Ebene geführt.

Von den 21 Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnet haben (BRD, Chile, China, Dänemark, DDR, Finnland, Frankreich, Ghana, Italien, Jugoslawien, Lesotho, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Singapur, Tschechoslowakei, Ungarn, USA, Venezuela) sind fünf Mitglieder der EG; zwei davon (Frankreich und Italien) haben das Übereinkommen bereits ratifiziert, in zwei weiteren EG-Staaten (BRD, Niederlande) ist das Ratifikationsverfahren im Gang.

Von den EFTA-Staaten haben Finnland, Norwegen, Österreich und Schweden das Übereinkommen bereits ratifiziert.

6 Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1987-1991 angekündigt (vgl. BB1 1988 I 395, Anhang 2). (S. 840)

7 Verfassungsmässigkeit

Der Bundesbeschluss betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf stützt sich auf Artikel 8 der Bundesverfassung, welcher dem Bund die Kompetenz zum Abschluss von Staatsverträgen mit dem Ausland gibt. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung gründet auf Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung. Das Übereinkommen kann jederzeit gekündigt werden. Es bedeutet auch keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation. Hingegen führt es eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des internationalen Warenkaufs herbei. Im Rahmen seines Geltungsbereichs wird das Übereinkommen das Landesrecht ersetzen und ergänzen; seine wesentlichen Bestimmungen sind direkt auf Privatpersonen anwendbar. Damit erfüllt es die Kriterien einer multilateralen Rechtsvereinheitlichung (vgl. BB1 1987 III 191, 1986 III 789 und dortige Verweise) und ist dem Staats-vertragsreferendum gemäss Artikel 89 Absatz 3 Buchstabe c der Bundesverfassung zu unterstellen.

Ende des Aufsatzes

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